„Sein und Schein in Geschichte, Architektur und Denkmalpflege“ war das diesjährige Motto, unter dem in ganz Deutschland Denkmale für Besucher geöffnet wurden. Das „Bronner´sche Gartenhaus“ nimmt an dieser Veranstaltung seit über 10 Jahren teil und öffnete dieses Jahr unter dem Titel „Scheinbar unscheinbar!“ seine Tür für die zahlreich gekommenen Besucher/innen.
Der Text der Museums-Führung von Karin Hirn MA folgt jetzt in Form eines Essays.
„Sein und Schein“ ist ein Thema, zu dem die Kunstgeschichte einiges zu bieten hat. Solange es Menschen gibt, haben sie zu Imitationen begehrter Güter, z.B. Metalle oder Steine, gegriffen, um scheinbar Reales zu schaffen und Illusionen herzustellen. Dabei war der Schöpferwille der Künstler unter Umständen so stark, dass ihre Imitationen die realen Dinge an Güte und Qualität noch übertreffen sollten.
In unserer kunstgeschichtlichen Frühzeit waren es die Höhlenzeichnungen, mit denen Jagdsimulationen dargestellt wurden. Einen großen Auerochsen zu jagen, war nicht einfach. Deshalb beschwor man seine Gestalt auf der Höhlenwand mittels einer Zeichnung herauf. Geglückte Jagd, wenn auch nur gemalt.
Mit dem Glauben an eine Transzendenz (Höhere Macht, Göttlichkeit), wie beispielsweise in der griechischen oder römischen Antike, gab man den Figuren der Mythologie Körper und Formen der Menschen, um das Nicht-Sichtbare vorstellbar zu machen. Diese Plastiken standen in Tempel oder in Hausaltären. Auch Wandbilder imitierten das Leben der Götter als scheinbar reale Szenerie. Soll nicht sogar Jupiter sich scheinbar in eine Fliege verwandelt haben, um ohne Aufsehen in das Schlafzimmer der neuen Auserwählten zu gelangen? Beim Beischlaf entpuppte sich die Fliegenimitation dann schnell in die Imitation eines Mannes, in dem schließlich sich der große Göttervater der Antike verbarg. So erzählt es die Mythologie.
Mit dem Christentum kamen auch die gemalten Illusionen von Heiligen und Schutzpatronen auf Altären, Wänden oder Bildern. Ganz besonders die Wände erfuhren illusionistische Verschönerungen, die hier und dort auch einmal „heidnisch“ zu deuten waren. Niemand hatte jemals einen Drachen von Angesicht zu Angesicht gesehen, aber wie er genau auszusehen hatte, das wussten die Künstler dieser Epoche ganz genau und so malten sie diesen dann auf Heiligenbildern, zum Beispiel St. Georgs-Altar.
Trompe-l’oil, die Kunst der Augentäuschung
Immer höher, kühner und technisch perfekter schufen die Künstler der Renaissance ihre illusionistischen Bilderwelten scheinbarer Realität. Gemalt wurde auf Wänden und Decken (Fresko) sowie auf Türen, daneben führten bestimmte Bauteile aus Stein, Ziegel, Stuck die Augen der Betrachter irre. Beim Betrachten beispielsweise eines Freskos von Guilio Romana, ungefähr aus dem Jahr 1520, führt sich der Kunstfreund ordentlich an der Nase herumgeführt: Ein anscheinend fast alltägliches Gastmahl mit der damals üblichen Tischdekoration wird zur Illusion, denn Götter und ein Elefant bitten hier zu Tisch. Ähnlich geht es dem Betrachter, wenn er nach oben auf die Decken damaliger Gebäude blickt, denn sie scheinen sich in die Ferne und Tiefe weit zu öffnen. Götterfiguren oder Kirchenfürsten greifen aus illusionistischen Himmelsgewölben scheinbar hinunter in den realen Raum und Putten schwirren auf und nieder. Michelangelo war in diesem Metier ein Meister seines Fachs. Es gab auch Maler die sich beim Selbstbildnis so malten, als blicke der Betrachter durch einen Konvexspiegel. Landschaften erfand man als paradiesisch-ideale Staffagen für Gemälde. Friedvolle Szenarien werden, z.B. auf Bildern Jan Brueghels d.Ä. zur Illusion des irdischen Paradieses. Der Maler Claude Lorrain zauberte schließlich auf seinen Bildern arkadische Landschaften in einem rauchigen Licht, nach denen die Betrachter riesige Sehnsucht verspürten. Dorthin einmal zu kommen, war der selige Traum. – Alles leider nur Anschein, nichts echt und dennoch irgendwie existent!
„Kennst du das Land…“
Die Mode, die Antike wiederzubeleben, verleitete die damaligen Baumeister Spolien (antike Bauteile) in damals errichtete „Neubauten“ einzugliedern oder anscheinend antike Bauelemente nachzuahmen. Auch die herrschaftlichen Innenräume machte man mit Kerzenlicht und Spiegeln für die Illusion unendlicher Raumfluchten fit. Das Barock war die Meisterepoche für „Sein und Schein“! Fehlte den Besitzern das Kapitel, so wurden teure Materialien kurzerhand in Form von Stuck- oder Pinselmarmor, als Gold oder Porzellan oder kostbares Edelholz mit dem Pinsel kopiert. Öfter mal auf Holz klopfen und erkennen: alles Attrappe! Das war oft auch viel billiger und leichter mit der Statik der Bauwerke zu vereinbaren.
Selten war jemand in China und dennoch dekorierte man Wände und Vitrinen mit Chinoserien aus Meißen, Frankenthal oder Nymphenburg. Soziale Zusammenkünfte der Oberschicht wurden als Orient- oder Schäfermaskeraden veranstaltet (Schwetzingen, Schlosspark) und auf den Tafeln prunkten Früchte, Blumen und Vögel lebensecht aus Porzellan. Was wie Stein und Marmor wirkte, war oftmals Gipsstuck.
Ende des 18. Jahrhunderts zogen „Schein und Sein“ in die Parks der Schlösser ein. Als „Englische Parks“ suggerierten sie den Besuchern eine Landschaft, die bis ins kleinste Detail komponiert war und dennoch zeigen wollte, so „ist“ wahre Natur. Überhaupt träumten sich viele Menschen in dieser Zeit „zurück zur Natur“ als Gegenbild zu einem damals gefährlichen und brutalen Alltag.
„…wo die Zitronen blühn,“
Die Italien- und Griechenlandsehnsucht nicht nur der Deutschen wurde durch die „Italienische Reise“ (1786 – 88) von Johann Wolfgang von Goethe weiter entfacht. Er prägte den Satz: „Das Land der Griechen mit der Seele suchend“ und kam allerdings nur bis Italien. Vor ihm waren schon die Engländer dort gewesen. Die „Italiensehnsucht“ führte zur Stilisierung vielfältigster Dinge des Alltags: Gärten, Kleidung, Möbel, Geschirr, Raumdekoration, Gebäude. Alles erfuhr dahingehend ein Styling, sofern man es sich leisten konnte. Die Rezeption des Altertums als „Goldenes Zeitalter“ angesichts eines drückenden und wirren gegenwärtigen Zeitalters („Erzenes Zeitalter“) wurde zum Flucht- und Schönheitsideal, zum Maß der Ästhetik und zum Ausdruck des Zeitgeistes. Das Unerreichbare wurde durch Kopie und Nachahmung scheinbar erreichbar, die Antike mit ihren blutigen Kriegen trotzdem als ideale Welt verklärt. Später machte dies die Malergruppe der Nazarener auch mit dem Mittelalter.
„Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
ein sanfter Wind vom Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht –
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin möcht ich mit dir, o mein Geliebter ziehn!“
Was „Mignon“ aus Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre, Teil 1“ da singt, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Herzensbedürfnis der Deutschen. Dies blieb so und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde „Neapel sehen und sterben!“ zum Urlaubsmotto. Dort wurde allerdings nicht gestorben, sondern gebadet. Noch heute stehen die Toskana und Rimini ganz oben auf der Reiseliste.
Auch Johann Philipp Bronner wurde in diesen Zeitgeist des beginnenden 19. Jahrhunderts hinein geboren. Dennoch war er eher dem Sein als dem Schein zugewandt. Er war Naturwissenschaftler und erfolgreicher Unternehmer. Das Reisen war aber auch sein Anliegen.
„Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihm die Flut –
Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin
geht unser Weg; o Vater, lass uns ziehn!“
Damals war das Reisen lebensgefährlich und Bronner jedes Mal froh, wieder nach Hause zu kommen. Dies wissen wir aus seinen Briefen an seine Frau und an seine Söhne. Zuhause war er auch in einer Art von „Arkadien“: nämlich in „seinem“ Gartenhaus in einem Meer von Reben. Und mit ihm waren im Nord-Westen der Gemarkung „Hässel“ „seine“„Wilhelmshöhe“, im Norden „seine“ „Sophienhöhe“ und schließlich ganz unten im Süden „seine“ Heimat Wiesloch mit der Apotheke und dem Weinkeller
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So präsentierte sich am Denkmaltag 2021 das „Bronner´sche Gartenhaus“ als ein Museum der Illusionen. Es erinnerte an die Reisen Bronners und seine Souvenirs, und mit einem „Italienaltar“ an den Traum von Ovids „Goldenem Zeitalter“ – Immerhin, die Altertumswissenschaft und die Ausgrabungen gewannen gerade zu Bronners Lebenszeit an Bedeutung. Als das Gastmahl zweier Freunde, Bronner und Wilhelm von Baden“, griff eine Rauminstallation im heutigen Gartenhaus auf tatsächlich Vergangenes zurück und simulierte dennoch schließlich auch Nichterreichbares. Bronner und Wilhelm von Baden entstammten trotz aller Gemeinsamkeiten zweier verschiedener Gesellschaftsklassen, die sich nicht so einfach überspringen ließen. Während Wilhelm von Baden das Großherzogtum und damit die Restauration nach Napoleon sichern wollte, verschloss sich Bronner nicht der Badischen Revolution und ihren demokratischen Gedanken. Die beiden historischen Figuren blieben sich trotzdem ihr ganzes Leben lang gewogen, denn sie stimmten in dem Interesse an der Erforschung der Natur und der Kultivierung des Weinanbaus überein.
Dem humanistischen Menschenbild Bronners, das aus der Aufklärung stammt, und der „Wiedergeburt der Antike“ als damaliges Mode-Ideal wurde in der Auswahl der Exponate im Gartenhaus Rechnung getragen. Auch Bronner zeigte anhand seiner vielen Reisetätigkeiten, dass Reisen möglich werden und dass reisen neben der Begegnung und Erforschung des Fremden auch die Projektion eigener Wünsche auf Fernes und Vergangenes sein können. Dennoch war reisen mitunter ein Risiko. Goethe kam schließlich nur bis Italien und Bronner auch nur bis Südtirol. Für die Inspiration der beiden genügte das. Was der Nachwelt daraus bleibt sind Relikte: das Bronnersche Gartenhaus als Rückzugsort eines Individualisten aus dem Jahr 1838 und Goethes glücklicher Kunstgriff, das Sehnsuchtsgedicht „Mignon“ aus dem Jahr 1821.
„Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:…“